Als Dienstmädchen bei den Sehrings
Die Pensionsinhaberin war es, die beiläufig erwähnte, daß sie demnächst einen durchaus besonderen Gast beherbergen werde, nämlich eine inzwischen 81-jährige Dame, welche in den Jahren 1937/39 als Dienstmädchen der Familie Sehring tätig war.
Ein erklärender Brief sowie zwei herzliche Telefonate hatten zum Ergebnis, daß diese Dame, Frau Hertha Franz, unserer Einladung auf die Roseburg folgte, um von diesen alten Zeiten zu erzählen ...
... Und wie sehr sie diese Arbeitsjahre, den unmittelbaren Umgang mit dem Architekten Bernhard Sehring und seiner Ehefrau Hildegard (welche sie selbstverständlich respektvoll stets mit "Herr Baumeister" sowie "Gnä' Frau" anredete) genossen hat, dies konnten wir ihren liebenswürdigen Erzählungen deutlich anmerken:
Daß es die mit schönsten Jahre ihres Lebens sein werden - dies ahnte Hertha Franz noch nicht, als sie 1937 als achtzehnjähriges Mädchen und auf Empfehlung ihrer Verwandtschaft die Dienstmädchenstelle bei den Sehrings antrat und ihre Stube hinter dem Wohnturm auf der Roseburg bezog. Die Burg selbst war übrigens und in so romantischer Weise zum gesamten Flair der Burg passend ein Geburtstagsgeschenk Sehrings an seine Frau.
Die Sehrings hatten sich längst in den wohlverdienten Ruhestand zurückgezogen, die größte Zeit des Prunks, der Reisen, der zahlreichen Empfänge war vorbei. Die Inflation hatte ihre Spuren hinterlassen, was aber das Leben in einem gewissen Wohlstand nicht schmälerte. Sehrings leisteten sich mit Frau und Herrn Kulwe ein Verwalterehepaar, was ausschließlich für die Pflege der Parkanlage, den Obstgarten verantwortlich war. Für eine betont ausgezeichnete Küche sorgte langjährig Köchin Minna. Hertha Franz besorgte also als Dienstmädchen z.B. die täglichen Einkäufe, servierte das Essen, war beim Ankleiden behilflich. Und schließlich noch eine Aufwartefrau; heute würde man sie eher als Putzfrau bezeichnen. Somit eine Belegschaft, die sich täglich um das Wohl des Herrn Baumeister, zu der Zeit 82 Jahre, und seiner Frau - seinerzeit von ihrem Mann und auch heute noch von Frau Franz liebevoll "Hillie" genannt.
Hinzu kommt der gehobene Lebensstil der Sehrings, der Umgang mit Persönlichkeiten, der tägliche Gebrauch von beispielsweise Meißner Porzellan bis hin zu Sehringwappenverziertem Silberbesteck - ein Leben das die junge Hertha Franz in dem Sinne noch nicht kannte, ihr aber in zunehmendem Maße gefiel. Somit war es für sie auch eine Zeit des Lernens. Eine perfekte Aussprache, das Beherrschen der in jener Zeit und diesen Kreisen typischen Bezeichnungen in teils französicher und englischer Sprache (so hieß zum Beispiel der Eingangbereich des Hauses nicht Diele oder Flur sondern "Entré"), die goldenen Regeln des Servierens - alles Dinge, die sie sich hierbei aneignete.
Trotz der Tatsache, daß sie bei und mit den Sehrings lebte, wurde stets Etikette bewahrt, sorgfältig auf die Dienstmädchenkleidung (schwarzes Kleid, makellose weiße Leinenschürze) geachtet, dem Hausherren voller Respekt und Achtung begegnet. Der wiederum dankte es seinen Bediensteten, indem er in seiner überaus menschlichen, liebenswürdigen und natürlichen Art ganz deren Tun vertraute, sich nie einmischte oder Vorschriften machte, vielmehr mit Dank und Lob die gewissenhafte Arbeit zu würdigen wußte.
Sehrings verbrachten nur die Sommer auf der Roseburg, wobei der Hausherr mitunter noch persönlich die Führung von Burggästen übernahm, wenn es sein Gesundheitszustand zuließ. Denn interessierten Besuchern stand die Burg seit den 30er Jahre immer offen und die detailreichen Erzählungen und Schilderungen des Architekten, Theaterbaumeister, Weltreisenden, Sammlers und Künstlers Bernhard Sehrings waren, wie man sich denken kann, enorm aufschlußreich und umfassend. Der Winter wurde in Berlin Charlottenburg verbracht und Hertha Franz reiste mit.
Das Berliner Leben unterschied sich deutlich vom ländlichen Flair in Ballenstedt/ Rieder. Klavierabende wurden gegeben, Theaterpersönlichkeiten gingen ein und aus. Herr Sehring widmete sich der Malerei, Fahrten wurden unternommen.
Die Entscheidung, die Arbeit bei der Familie aufzugeben, fiel mit der Tatsache, daß die Schwester von Hertha sich einem langen Kuraufenthalt zu unterziehen hatte und die Pflege derer Kinder übernommen werden mußte. Noch 2x schickte Sehring seinen Verwalter nach Reinstedt um anzufragen, ob sie nicht wieder in den Dienst zurückkehren mag. Aber letztendlich war es die eigene Gesundheit von Frau Franz, die dieses nicht mehr erlaubte.
Der Kontakt zu ihrem vortrefflichen Arbeitgeber verlor sich. Und 2 Jahre später, 1941, verstarb ja Bernhard Sehring, 9 Jahre vor seiner Gattin, im stolzen Alter von 86 Jahren. Ihr war seinerzeit nicht einmal bekannt, ob ihm sein lang gehegter Wunsch erfüllt wurde, nämlich in dem bereits hierfür komplett ausgestatteten Mausoleum unterhalb des Roseburg-Aussichtsturmes die letzte Ruhestätte zu finden. Dieser Wunsch wurde ihm übrigens nur vorübergehend gewährt und nach dem endgültigen Verbleib seiner sterblichen Überreste forscht man noch heute.
Gelernte Kindererzieherin, Ehefrau, Mutter, Oma, zu DDR-Zeiten LPG-Arbeit in der Ferkelaufzucht - Stationen eines ausgefüllten Arbeitslebens. Frau Franz lebte damals und bis ins hohe Alter hinein in Reinstedt, unweit von Ballenstedt. Sie durfte sich viele Jahre einer altersgemäß guten Gesundheit erfreuen, bevor sie am 30. November 2003 verstarb. In Hertha Franz hatten wir eine kostbare, liebe Gesprächspartnerin gefunden, die wohl eine der wenigen noch verbliebenen Zeitzeugen gewesen war, welche zumal nie den Bezug zur Roseburg verlor hatte. Was uns bleibt, ist der uns von ihr vermittelte Erfahrungsschatz aus ihrem Leben mit den Sehrings und das Gedenken an einige interessante und schöne Stunden, die wir mit ihr verbringen durften. Vielen Dank, Frau Hertha Franz!
Roseburg/Halle, August 2000
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